Die CTO-Rolle im Startup-Kontext: Zwischen Verhandlungstaktik, Wachstum und Realität

Wenn man über die CTO-Rolle in Startups spricht, landet man erstaunlich oft bei Extremen. Auf der einen Seite die Glorifizierung des visionären Tech-Leaders, der die technologische Zukunft des Unternehmens prägt. Auf der anderen Seite die nüchterne Realität: In vielen Fällen ist die CTO-Rolle in frühen Unternehmensphasen weniger Ausdruck von Qualifikation als vielmehr Ergebnis pragmatischer Kompensation.

Die Wahrheit liegt, wie so oft, irgendwo dazwischen – und ist deutlich komplexer, als es vereinfachte Narrative nahelegen. Genau deshalb lohnt es sich, die Mechanismen hinter der Vergabe der CTO-Rolle zu verstehen, die möglichen Entwicklungen zu antizipieren und die Weichen früh richtig zu stellen.

Die CTO-Rolle als Verhandlungsasset

Gerade in Early-Stage-Startups ist Geld knapp. Hochqualifizierte Ingenieure sind jedoch teuer und auf dem Markt umkämpft. Um diese Talente trotzdem zu gewinnen, greifen Gründer oft zu einem naheliegenden Instrument: dem Titel. Anstelle von höherem Gehalt oder zusätzlichem Equity wird der Status „CTO“ vergeben.

Das ist kurzfristig effektiv. Man sichert sich dringend benötigte technische Kompetenz, ohne die finanziellen Spielräume zu sprengen. Doch dieser Schachzug birgt Risiken – sowohl für das Unternehmen als auch für die betreffende Person. Denn ein Titel verändert Erwartungen, nach innen wie nach außen. Mit „CTO“ im Lebenslauf öffnet sich die Tür zu weiteren C-Level-Rollen. Für den Betroffenen ist das ein Karrieresprung. Für das Startup bedeutet es im Zweifel den Verlust einer Schlüsselperson.

Wachstum – aber in welcher Geschwindigkeit?

Die entscheidende Frage ist, ob sich die Entwicklung des Unternehmens und die Entwicklung des CTOs synchron vollziehen. Das klingt trivial, ist aber in der Praxis hochkomplex.

  • Wächst die Person schneller als das Unternehmen, wird sie sich nach neuen Herausforderungen umsehen.

  • Wächst das Unternehmen schneller, wird es Anforderungen stellen – etwa Teamführung, Organisationsaufbau, Investor Relations –, die die bisherige Besetzung nicht abdecken kann.

  • Nur im Idealfall verläuft beides im Gleichschritt: Das Unternehmen gewinnt an Reife, und der CTO wächst in die erweiterten Aufgaben hinein.

Dieser Gleichschritt ist selten. Und er sollte nicht als selbstverständlich angenommen werden.

Das Missverständnis rund um die CTO-Rolle

Ein weit verbreitetes Missverständnis ist die Annahme, dass jeder starke Ingenieur automatisch in eine gute CTO-Rolle hineinwachsen wird. Das ist keineswegs der Fall. Viele exzellente Techniker wollen gar nicht führen. Andere haben schlicht nicht die Persönlichkeit, die es braucht, um zwischen Business-Interessen, Teamdynamiken und technischer Strategie zu vermitteln.

Wenn Gründer dieses Thema nicht frühzeitig adressieren, entsteht eine gefährliche Lücke. Auf der einen Seite steht das Unternehmen, das selbstverständlich davon ausgeht, dass der CTO sich mitentwickelt. Auf der anderen Seite die Person, die sich möglicherweise nie mit Management, Investorengesprächen oder Skalierungsstrategien identifizieren wird. Die Kollision ist programmiert.

Strategische Klarheit statt Ad-hoc-Entscheidungen

Die zentrale Aufgabe liegt darin, diese Themen vorab zu besprechen und bewusst zu entscheiden. Es gibt kein „richtig“ oder „falsch“. Aber es gibt eine große Differenz zwischen bewusst eingegangenen Trade-offs und naiver Hoffnung.

Wenn ein Gründer sagt: „Wir brauchen dich als Lead Engineer. Wir geben dir den CTO-Titel, aber wir wissen, dass wir in zwei Jahren möglicherweise einen anderen brauchen“ – dann ist das eine faire, ehrliche Vereinbarung. Ebenso legitim ist es, eine Übergangsstrategie zu entwerfen, bei der ein späterer Wechsel möglich ist, ohne das Gesicht zu verlieren.

Problematisch wird es nur dann, wenn diese Gespräche nicht geführt werden. Wenn stillschweigend vorausgesetzt wird, dass die Entwicklung schon irgendwie parallel verlaufen wird. Wenn Erwartungen nicht abgeglichen werden und man erst im Krisenmoment merkt, dass beide Seiten etwas anderes wollten.

Die Rolle des CTO bewusst gestalten

Die CTO-Rolle in Startups ist weder automatisch ein Wegwerfposten noch zwangsläufig der Grundstein für eine große Karriere. Sie ist das Ergebnis eines Zusammenspiels von Unternehmensphase, persönlicher Entwicklung und bewusster Entscheidung.

Wer sich dieser Dynamiken bewusst ist, kann die Rolle gestalten, statt von ihr überrascht zu werden:

  • Gründer, indem sie Erwartungen offen adressieren und klare Horizonte definieren.

  • CTOs, indem sie sich ehrlich fragen, ob sie wirklich in Führung und Management hineinwachsen wollen.

  • Beide Seiten gemeinsam, indem sie eine Sprache finden, um diese Fragen regelmäßig zu reflektieren.

Fazit

Die CTO-Rolle im Startup ist ein Spiegel der Komplexität, in der junge Unternehmen operieren: begrenzte Mittel, hoher Druck, viele Unbekannte. Genau deshalb ist es so wichtig, diese Rolle nicht als reinen Titel oder als selbstverständlich funktionierende Besetzung zu betrachten.

Es geht darum, Klarheit zu schaffen, Erwartungen abzugleichen und Strategien zu entwickeln, wie man mit den absehbaren Spannungen umgeht. Wer das früh tut, kann viel Ärger und Enttäuschung vermeiden – und erhöht die Chance, dass CTO und Unternehmen tatsächlich gemeinsam wachsen.

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